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Eigentlich sollte dieser Blogartikel von den „besonderen Anforderungen“ und den daraus erforderlich werdenden „zusätzlichen Maßnahmen“ bei Steil- insbesondere Ziegeldächern handeln.

In den letzten Tagen und Wochen wurde ich jedoch von Kunden, Freunden und Bekannten gefragt: „Was wir denn bei dieser Witterung so machen?“ So habe ich mich entschieden, vorerst einen Artikel über Dachdecker im Winter zu schreiben.

Es ist richtig, Dachdecker können bei winterlichen Witterungsbedingungen nicht arbeiten. Da hilft auch warme und wetterfeste Kleidung nicht.

Dachdecker arbeiten nicht in einer Werkhalle oder einem Labor, sondern eben auf dem Dach. Da wird die Arbeit im Winter einerseits durch Eis und Schnee behindert, anderseits benötigen bestimmte Technologien Mindestbauteiltemperaturen, von 0°, 3° oder gar 5° C.

Diese Behinderungen kann man durch beheizte Einhausungen umgehen. Jedoch sind diese für den Bauherren kostenintensiv. So ist es in der überwiegenden Mehrheit der Fälle wirtschaftlicher, einen oder zwei Monate zu warten.

Die Dachdecker bringen in dieser Zeit ihr Lager und ihre Ausrüstung in Ordnung. Vieles was das Jahr über liegen geblieben ist, wird in dieser Zeit erledigt. Gesellen, welche das ganze Jahr fleißig gearbeitet haben, haben nun die Gelegenheit sich auszuruhen, zu regenerieren und Kraft zu tanken für die kommenden Aufgaben.

Trotz der geringen Arbeitsmöglichkeiten möchte ein Dachdeckergeselle auch im Winter Einkommen erzielen. Deshalb haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk einen Tarifvertrag ausgehandelt, der eine ganzjährige Beschäftigung und den ganzjährigen Bezug von Lohn sichert. Dieser wurde vom BMWi für allgemeinverbindlich erklärt. Flankiert wird dieser Tarifvertrag vom Saisonkurzarbeitergeld (SKUG). Das früher übliche „Ausstellen im Herbst“ hat sich somit weitestgehend erledigt. Dies hat auch den Vorteil, dass die Arbeitnehmer dem Unternehmen bei Bedarf sofort zur Verfügung stehen.

Für die Unternehmen sieht das natürlich anders aus. So müssen die Zahlungen an die Arbeitnehmer vorfinanziert werden. Versicherungen, Beiträge und andere Einmalzahlungen werden zu Beginn des Jahres fällig. So ist der Dachdeckerunternehmer bestrebt, zu Beginn des Jahres schnell die ersten Aufträge abzuarbeiten. Obwohl mit diesen Aufträgen, aufgrund der witterungsbedingten Behinderungen nur ein geringer Deckungsbeitrag erzielt wird, fließt erste Liquidität ins Unternehmen.

Makroökonomisch betrachtete ist ein längerer und strenger Winter gut für die Branche. Siehe Modell Kasten.

Gut konnte man das nach dem Winter 2012/13 beobachten, als fünf (!) Monate kaum gearbeitet werden konnte. Trotzdem standen die meisten Bedachungsunternehmen Ende 2013 besser da, als Ende 2011.

Wie die Temperaturkurve zeigt, hatten unserer Kollegen in den vergangenen Jahrhunderten größere Probleme mit dem Winter.

Zeitstrahl Wintertemperatur

Von einer Schlechtwetterregelung, ähnlich der heutigen konnten unsere Altvorderen nur träumen. Was im Sommer erarbeitet wurde, das musste mit für den Winter reichen.

Viele Dachdecker arbeiteten im Winter als Schneider oder Besenbinder. Arno Köhler (1880 bis 1940) hatte sich eigens für den Winter zum Fleischer qualifiziert und verdiente sein Geld im Winter als Hausschlächter.

Johann Christoph Michal, der die Kunst des Ziegeldeckens aus Böhmen nach Sachsen und in unsere Familie brachte, ging im Winter zu Fuß in seine alte Heimat. Dort heuerte er seine Gesellen für die kommende Saison an. Um nicht leer zu gehen brachte er einen Schiebock (eine große Schubkarre) voll Dachspähne mit.

Nachdem 1927 in Deutschland die erste Arbeitslosenversicherung eingeführt wurde, setzte sich die Praxis durch, dass Dachdeckergesellen im Winter „Stempeln gingen“. Diese Praxis hat sich bis ende der 90er Jahre gehalten. Als ich zu Beginn der 90er Jahre einen Dachdeckerbetrieb in Helmbrecht in Franken besuchte, mussten die Arbeiten vor Ostern wieder aufgenommen werden. Die Gesellen schimpften und murrten. Sie wären gern noch — wie üblich — bis Ostern „stempeln gegangen“.

Seit den Sozialreformen der Regierung Schröder funktioniert das so nicht mehr. Die Gesellen würden innerhalb kurzer Zeit ins Harz IV fallen. Seit dem wird die heute übliche Regelung praktiziert.

Übrigens ist mir außer Österreich kein Land bekannt, in dem es eine ähnliche soziale Absicherung von Bauhandwerkern im Winter gibt. Auch dies ist eine hervorragende soziale Errungenschaft in Deutschland.

Auch wenn die weltweite Erderwärmung vermuten lässt, dass wir in den nächsten Jahrzehnten weniger Sorgen mit dem Winter haben werden, sollten wir wachsam sein, dass diese und ähnliche Errungenschaften erhalten bleiben und nicht auf den Altar der Globalisierung geopfert werden. Denn gerade die soziale Sicherheit ist eine von den Kriterien, die Deutschland einzigartig in der Welt gemacht haben.